
Wenn Sie – wie wir – oft durch die Säle der Galleria Palatina im Palazzo Pitti schlenderten, begegnen Sie zwischen den berühmten Gemälden vielleicht auch Werken, die weniger bekannt, aber absolut bemerkenswert sind. Genau das ist uns mit den Bildern von Rachel Ruysch passiert: Stillleben mit hyperrealistischen Details, leuchtenden Farben und verborgenen Bedeutungen, die sofort unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Deshalb möchten wir Ihnen heute erzählen, wer diese niederländische Malerin war – dem breiten Publikum kaum bekannt, aber wir sind sicher, dass Sie ihre Werke lieben werdet, wenn Sie sie erst einmal entdeckt haben.
Geboren 1664 in Amsterdam, Tochter eines bekannten Professors für Anatomie und Botanik, wurde Rachel Ruysch Schülerin von Willem van Aelst, einem berühmten Blumen- und Stilllebenmaler. Ihre Werke erregten schnell das Interesse des wohlhabenden Bürgertums, das von ihrer fast wissenschaftlichen Untersuchung von Blumen und Tieren fasziniert war – unterstützt durch die große niederländische Stillleben-Tradition.
Die Anordnung von Blumen und Früchten im Raum, durchdacht nach Diagonalen, Licht und Schatten, ist charakteristisch für ihren virtuosen Stil und machte sie bei vielen Auftraggebern beliebt. In einer über sechzig Jahre dauernden Karriere schuf Ruysch rund 100 Meisterwerke.
1693 heiratete sie den Porträtmaler Juriaen Pool und zog mit ihm nach Den Haag. Ab 1699 waren beide Mitglieder der dortigen Malergilde – Rachel war die erste Frau, die aufgenommen wurde. In diesen Jahren erreichte ihre Karriere ihren Höhepunkt. Zwischen 1708 und 1716 stand sie mit ihrem Mann im Dienst des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz in Düsseldorf, Ehemann von Anna Maria Luisa de’ Medici. Der Kurfürst beauftragte sie mit einem Bild pro Jahr – gegen ein großzügiges Gehalt. Dabei durften Rachel und Juriaen weiterhin in den Niederlanden leben, um sich um ihre große Familie zu kümmern. Mit 47 Jahren brachte sie ihr zehntes Kind zur Welt.
Um seine Lieblingsmalerin auch außerhalb Nordeuropas bekannt zu machen, sandte Johann Wilhelm dem Schwiegervater Cosimo III. de’ Medici zwei Werke an den florentinischen Hof: ein Stillleben mit Blumenkorb, Kräutern und Insekten, und das Pendant Stillleben mit Früchten – heute beide im Depot der Uffizien.
1716 kehrte Ruysch nach Amsterdam zurück und malte weiterhin mit großem Erfolg – bis zu ihrem Tod mit 86 Jahren.
Ihre Kompositionen sind nicht nur elegant, sondern voller allegorischer Bedeutungen – wie die beiden Werke, die unsere Aufmerksamkeit im Sala dei Putti der Galleria Palatina erregt haben. In diesem intimen Raum, etwas abseits der prächtigen Repräsentationssäle, finden sich unter anderen holländischen Malern zwei Werke von Ruysch: Stillleben mit Früchten, Blumen, Reptilien und Insekten (1716), und Blumenstrauß in einer Vase mit Granatäpfeln (1715).
Beide Gemälde wurden 1823 von den Habsburger-Lothringern aus einer Pariser Privatsammlung für den Palazzo Pitti erworben.
Neben ihrer objektiven Schönheit beeindruckt uns vor allem die Fülle an symbolischen Inhalten in jedem einzelnen Element.
Im Stillleben mit Früchten, Blumen, Reptilien und Insekten frisst eine Eidechse – in der biblischen Tradition als unreines Tier angesehen – ein Ei, das für Leben und Wiedergeburt steht. Weitere Eier liegen geschützt im Nest, als Symbol der Geborgenheit.
Im Zentrum der Komposition, von Licht hervorgehoben, befinden sich Pfirsiche mit Fruchtfleisch, Kern und Samen – ein Hinweis auf die Trinität.
Die sie umgebenden Trauben sind ein klassisches Symbol für Christus.
Kastanien galten im Mittelalter als Symbol der Unbefleckten Empfängnis, im 17. Jh. jedoch als Hinweis auf die Schwangerschaft.
Aus dem dunklen Hintergrund, der an ein Unterholz erinnert, treten goldene Ähren hervor – Sinnbild für Fülle.
Im Blumenstrauß in einer Vase mit Granatäpfeln tragen die leuchtenden Farben der Blumen verschiedene Bedeutungen: das Blutrot der Tulpen erinnert an Jesus Opfer, aber auch an das Leben. Das Weiß der Pfingstrosen steht für Reinheit. Die Sonnenblume, eigentlich Symbol für Licht und Leben, ist hier leicht geneigt und abseits vom Zentrum platziert.
Die Granatäpfel links symbolisieren die Einheit der Kirche – und die roten Kerne im geöffneten Granatapfel erinnern an das Leiden Christi.
In diesen Gemälden wird die Natur zum Spiegel religiöser Traditionen – und mehr noch: Früchte, Blumen und Insekten stehen auch für das tägliche Leben, den Kampf zwischen Gut und Böse, die Schwierigkeiten des Daseins.
Hätten Sie je so viele Bedeutungen in einem scheinbar „einfachen“ Stillleben vermutet?
In Rachel Ruyschs Werken haben wir eine leuchtende, stille Welt entdeckt – ein Spiegel ihrer Bildung, ihrer Interessen und ihres Lebens als außergewöhnliche Frau und Künstlerin. Diese Entdeckung möchten wir mit Ihnen teilen!